Das europäische Nachlasszeugnis „ENZ“

Die EU-Verordnung Nr. 650/2012 hat das europäische Nachlasszeugnis für Erbschaften von Personen eingeführt, die am oder nach dem 17. August 2015 verstorben sind. Diese Regelung gilt für Erbschaften mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.

Betrachten wir zum Beispiel den Fall eines deutschen Staatsbürgers, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Italien hat und ein Sparkonto bei einer deutschen Bank führt.

In der Situation, dass der Verstorbene keine testamentarische Auswahl des Erbrechts vorgenommen hat (wie etwa das deutsche Recht, welchem er durch seine Staatsangehörigkeit unterliegt), kommt das Recht des Landes zur Anwendung, in dem er zum Zeitpunkt seines Ablebens seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte - in diesem Fall also das italienische Recht.

Der Vorteil des europäischen Nachlasszeugnis besteht darin, dass er in der gesamten EU die gleichen Auswirkungen hat, unabhängig davon, in welchem Land er ausgestellt wurde. Im Gegensatz dazu wirkt sich eine nationale Bescheinigung nur in dem Land aus, in dem sie ausgestellt wird.

Ein weiteres praktisches Beispiel verdeutlicht den Nutzen des europäischen Nachlasszeugnis:

Giuseppe ist in Italien gestorben, wo er seit einigen Jahren lebte und arbeitete. Allerdings hat er hauptsächlich in Deutschland gelebt, wo auch seine Ehefrau Anna und sein Sohn wohnen. Aufgrund dieser Umstände fiel die Zuständigkeit für die Regelung von Giuseppes Nachlass den kroatischen Behörden zu.

Die Ehefrau kann daher vom zuständigen deutschen Nachlassgericht ein europäisches Nachlasszeugnis ausgestellt bekommen, mit dem sie der italienischen Bank von Giuseppe nachweisen kann, dass sie berechtigt ist, auf das Konto ihres verstorbenen Ehemanns zuzugreifen. Das europäische Nachlasszeugnis erleichtert und beschleunigt somit die Anerkennung von Rechten im Falle einer grenzüberschreitenden Erbschaftsabwicklung in der EU, da es in anderen EU-Ländern ohne besondere Verfahren anerkannt wird.

Verfahren in Italien:

Das Gesetz Nr. 161 vom 30. Oktober 2014 hat den Notar als zuständige Behörde für die Ausstellung des europäischen Nachlasszeugnis in Italien gemäß derselben EU-Verordnung Nr. 650/2012 bestimmt.

In der Praxis behält die ausstellende Behörde das Original des europäischen Nachlasszeugnis und übergibt beglaubigte Kopien mit einer Gültigkeit von 6 Monaten, die verlängerbar sind, an die Erben, den Testamentsvollstrecker und dem Nachlasspfleger. Die ausstellende Behörde kann das ENZ ändern oder widerrufen, wenn festgestellt wird, dass dieses fehlerhaft ist.

In Italien muss der Antrag auf Ausstellung des ENZ, dass alle erforderlichen Daten enthält, bei einem Notar eingereicht werden. Das ENZ muss den Namen und die Adresse des Notars, das Aktenzeichen sowie die Grundlagen angeben, aufgrund derer die ausstellende Behörde ihre Zuständigkeit annimmt (Artikel 68 der Verordnung). Der Notar muss daher das Gesetz zitieren, das die Notare als ausstellende Behörde vorsieht, und auch die Handlungen angeben, die der Testamentsvollstrecker und der Nachlasspfleger ohne Genehmigung des Gerichts nicht durchführen dürfen. In den meisten Fällen erhält der Notar einen Antrag auf Ausstellung seitens eines italienischen Staatsbürger - erbberechtigt sind die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker und Nachlasspfleger (Artikel 63, Absatz 1 der Verordnung), jedoch nicht die Gläubiger des Verstorbenen.

Es besteht kein Zweifel daran, dass der Antrag auf das ENZ an sich nicht als stillschweigende Annahme des Erbes betrachtet werden kann (Artikel 476 des italienischen Zivilgesetzbuches).

Der in Italien tätige Notar, der europäische Nachlasszeugnis ausstellt, ist verpflichtet, das Original aufzubewahren und dem Antragsteller eine Kopie auszuhändigen. Diese Kopie hat in der Regel eine Gültigkeitsdauer von sechs Monaten. Nach Ablauf dieser Frist verliert die Kopie ihre Gültigkeit, jedoch besteht die Möglichkeit, eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer zu beantragen oder eine neue Kopie ausstellen zu lassen.

Kopien des ENZ können nicht nur von den erbberechtigten Personen (Artikel 63, Absatz 1 der Verordnung) angefordert werden, sondern auch "von jeder Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist". Die Bewertung des tatsächlichen Interesses obliegt dem Notar.